XV. Domain gegen Marke: Kennzeichenrechtliches Abstandsgebot im Internet
RA und Fachanwalt IT-Recht Dr. Jens Bücking, Stuttgart
Die Frage gehört zu den umstrittensten des Mediums Internet: Sind an das kennzeichenrechtliche Abstandsgebot – d. h. wie weit sich ein Zeichen von einem anderen, mit besseren Rechten ausgestatteten Zeichen abgrenzen muss, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen – im Internet bei der Kollision zwischen Marke (oder Unternehmenskennzeichen, Werktitel) und Domain andere Maßstäbe zu stellen als außerhalb des Internets?
Hintergrund ist der Umstand, dass dem durchschnittlichen Internetnutzer die Doppelfunktion von Domains – Name und Adresse – bekannt ist und er daher in der Regel einen erhöhten Grad an Aufmerksamkeit walten lässt, wenn ihm eine Domain mitgeteilt wird oder wenn er eine Domainadresse liest. Der Umstand, dass bereits ein Vertippen oder eine irrtümliche Abweichung in einem einzigen Buchstaben oder Satzzeichen den Nutzer erkennbar zu einer ganz anderen Website führen wird, könnte dazu führen, dass an den Beurteilungsmaßstab faktisch geringe Anforderungen zu stellen sein werden.
Ob das althergebrachte Abstandsgebot auch im Internet ohne Einschränkung durchgehalten werden kann, erscheint daher fraglich. Nach einer Ansicht sind dem Kennzeicheninhaber im Internet Überschneidungen, jedenfalls aber Annäherungen in weit stärkerem Maße zuzumuten, als er dies im klassischen Kennzeichenrecht hinzunehmen hätte. Denn es sei in Nutzerkreisen bekannt, dass die Eingabe einer falschen Schreibweise in den Web-Browser wie eine falsch gewählte Telefonnummer zwangsläufig zu Fehl- oder Irrleitungen führe. Teilweise wird vertreten, die bloße Ähnlichkeit zweier prinzipiell verwechslungsfähiger Domains für die Entstehung kennzeichenrechtlicher Schutzansprüche noch nicht ausreichen zu lassen. Ansprüche aus Namens- oder Kennzeichenrecht sollen dem Inhaber des älteren Rechts nur bei der identischen Verwendung des aussagekräftigen Bestandteils der Unternehmensbezeichnung durch einen Konkurrenten als – also nicht allein im Rahmen einer – Domain zustehen.
Die Rechtsprechung ist uneinheitlich und (natürlich) stets einzelfallbezogen: Schränken die Vergaberegeln sowie die branchenübergreifende Ausschlusswirkung der Domains die Gestaltungsmöglichkeiten ein und haben sich die Nutzer daher daran gewöhnt, auch geringfügigste Unterschiede zu beachten? In der Tat wird es bei Anlegung eines objektivierten, auf den verständigen, informierten Nutzer abstellenden Maßstabs durchaus auf den Aspekt der Eindimensionalität des „flachen“ Namensraumes und die Adressfunktion des Domainnamen ankommen müssen, mit der Folge, dass der Verkehr besonders aufmerksam auf Abweichungen in der Schreibweise achten und sich der Gefahr einer Fehlleitung bei Eingabe eines falschen Zeichens bewusst sein dürfte. Da es allein auf das objektive Verkehrsverständnis ankommt, das durchaus bei unterschiedlichen Medien divergieren kann, bedarf es nicht der mitunter befürchteten Etablierung eines „Sonderrechts“ im Bereich der Domainnamen.
Dennoch zeichnen sich die instanzgerichtlichen Entscheidungen nicht durch eine einheitliche Linie aus: So gehen manche Gerichte davon aus, dass bei Kennzeichen mit schwacher Unterscheidungskraft bereits minimale Abweichungen in nur einem Buchstaben genügen müssen, um die Verwechslungsgefahr mit einer Internetdomain auszuschließen, bzw. dass angesichts der Knappheit von Domainnamen und der Relevanz kleinster Abweichungen für Zuordnungen im Internet das Abstandsgebot bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit weniger streng sein müsse. Andere meinen, dass dann, wenn zwischen beiden Zeichen sowohl klanglich als auch schriftbildlich hochgradige Zeichenähnlichkeit bestehe, diese markenrechtliche Verwechslungsgefahr regelmäßig nicht durch den Inhalt der Internetseite beseitigt werden könne, deren Domainname mit der Klagemarke zeichenähnlich ist. Die Behauptung, wonach der durchschnittlich informierte Internetnutzer bei Eingabe von Domains ein hohes Maß an Sorgfalt aufwendete und daher auch schon bei der Wahrnehmung von Domains auf kleinste Unterschiede in der Schreibweise achte, sei nicht näher belegt, spiele aber auch keine Rolle, da dies in erster Linie für die schriftbildliche Wahrnehmung zu gelten habe. Dies sei aber nicht die einzige Wahrnehmungsmöglichkeit. Vielmehr würden Domains auch mündlich weitergegeben.
Im Grundsatz gilt jedoch auch im Domainrecht: Je geringer die Unterscheidungskraft des die Domain „angreifenden“ Zeichens (also der Marke oder des Unternehmenskennzeichens des Anspruchstellers), desto ähnlicher darf die Domain diesem Zeichen sein. Nicht jeder in die Domain aufgenommene Zeichenabstand, und sei er schriftbildlich auch signifikant, ist freilich geeignet, Verwechslungen mit einem geschützten Zeichen auszuräumen. Dies betrifft insbesondere Zusätze, die lediglich das wirtschaftliche Betätigungsfeld des Kennzeicheninhabers beschreiben oder auf dieses hinweisen.