Sozialversicherungsrecht

Wir beraten seit vielen Jahren im Sozialversicherungsrecht, insbesondere zum Thema Scheinselbständigkeit. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu diesem Thema scheint immer strenger zu werden, dies ist jedoch nur auf der Basis der seit Jahren unveränderten Gesetze und der dazu entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen selbständiger und abhängiger Tätigkeit möglich.

Große Aufregung verursacht derzeit das Urteil des Bundessozialgerichtes zum Thema selbständige Tätigkeit von Lehrkräften, das so genannte “Herrenberg-Urteil” vom 28.06.2022.

Inzwischen haben wir von einigen Musikschulen und anderen Bildungseinrichtungen gehört, dass diese die Last von Sozialabgaben nicht für alle Lehrkräfte stemmen können und planen, zum Ende des Schuljahres zu schließen. Wenn dies Schule macht und außer Musikschulen auch weitere Bildungseinrichtungen betroffen sind, sind das düstere Aussichten für den Bildungsstandort Deutschland.

Viele Musik- und Volkshochschulen haben kommunale Träger. Die Haushaltslage der Kommunen ist derzeit nach dem Bericht der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände sehr angespannt: “Die finanzielle Lage der Kommunen wird sich im Jahr 2023 und den folgenden Jahren sehr deutlich verschlechtern. Bereits für 2023 ist ein Einbruch des kommunalen Finanzierungssaldos um mehr als -8 Milliarden Euro zu erwarten.”
Darüber hinaus gehört die Finanzierung von Musik- und Volkshochschulen zu den freiwiligen Aufgaben, bei denen eher gespart werden kann als bei den Pflichtaufgaben.

Aus dem Urteil wird vielfach geschlossen, dass eine Beschäftigung von Honorarkräften bei Musikschulen (oder auch an Universitäten, Fachhochschulen und Volkshochschulen, siehe übernächsten Absatz) gar nicht mehr möglich sei. Dabei schreibt das Bundessozialgericht selbst in diesem Urteil:

„Für die Frage, ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt, sind stets die konkreten Umstände des individuellen Auftrags- oder Beschäftigungsverhältnisses maßgebend.“

Weitere Brisanz erhält das Thema dadurch, dass die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger in ihrem Besprechungsergebnis vom 4.5.2023, Tagesordnungspunkt 1, meiner Ansicht nach bemüht sind, dies auf alle Dozenten und Lehrbeaftragten an Universitäten, Fachhochschulen, Volkshochschulen und Musikschulen zu übertragen und den Eindruck zu verfestigen, eine selbständige Tätigkeit sei in diesen Bereichen kaum noch möglich. Fachlich angreifbar ist dieses Besprechungsergebnis nicht, weil dieses unter den Vorbehalt aller Umstände gestellt wurde, die den Einzelfall des “Herrenberg-Urteils” kennzeichnen.

Die Anpassung von Verträgen und die tatsächliche Umsetzung der geänderten Verträge macht es jedoch weiterhin aus meiner Sicht auch bei Universitäten, Fachhochschulen, Volkshochschulen und Musikschulen möglich, zu einer Beurteilung selbständiger Tätigkeit zu kommen. Dazu müssen Bildungsträger sich aber von althergebrachten Vertragsmustern lösen und den Honorarkräften deutlich mehr Freiheiten gewähren, sowohl nach dem Vertrag als auch in der praktischen Umsetzung.

Zum “Herrenberg-Fall” schreibt das Bundessozialgericht:

“Das beschäftigungstypische Gepräge der Lehrtätigkeit der Beigeladenen wird insbesondere durch die Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung sowie die Festlegung auf bestimmte Unterrichtszeiten und Räume der Klägerin deutlich. Die Klägerin erstellte hinsichtlich der Unterrichtszeiten der Beigeladenen einen Stundenplan und wies ihr die Unterrichtsräume zu.”

und weiter

Die Eingliederung der Beigeladenen zeigte sich auch daran, dass sie einen Unterrichtsausfall
aufgrund eigener Erkrankung oder sonstiger Verhinderung zu melden hatte und ein Ausfallhono-
rar erhielt, wenn Schüler nicht zum Unterricht erschienen sind
.”

Hier sind ohne weiteres vertragliche Vereinbarungen mit selbständigen Lehrkräften machbar, die auf Augenhöhe keine engen organisatorischen Vorgaben durch die Bildungseinrichtung mehr beinhalten, das Urteil ist nur auf den konkreten Fall bezogen und unseres Erachtens im “Fall Herrenberg” auch richtig.

Im Bereich Musikschulen kommt noch hinzu, dass es auch für Selbständige eine Sozialversicherung über die Künstlersozialkasse gibt, bei der die fiktiven Arbeitgeberbeiträge aus Abgaben bei künstlerischen Aufträgen sowie aus dem Bundeshaushalt bestritten werden, dies findet bisher in der Diskussion noch viel zu selten Erwähnung.

Ulrich Emmert, esb Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart