Prozessvorbereitende Ausforschung durch Auskunftsansprüche nach Art. 15 DSGVO?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 23.10.2023 (C-307/22) entschieden, dass der Verantwortliche die gegen ihn erhobenen Ansprüche auf Auskunft und Herausgabe von Kopien (Art. 15) nicht schon allein deswegen zurückweisen darf, weil datenschutzfremde Zwecke hinter dem Auskunftsersuchen stehen, bspw. eine Ausforschung von Interna, Geschäftsgeheimnissen oder zur Vorbereitung eines Rechtsstreits.

Die Rechtsprechung in Deutschland hatte bis dato einen Rechtsmissbrauch des Rechtsinstruments der DSGVO-Auskunft insbesondere in Fällen von exzessiven Auskunftsanträgen angenommen: Der Exzess liege insofern gerade darin, sich mit seinem Begehr außerhalb der berechtigten datenschutzrechtlichen Zwecke und Interessen zu bewegen. Dies sei bspw. der Fall, wenn der Betroffene seinen Auskunfts- und Kopieranspruch mit dem Angebot verbindet, hiervon – oder von einer Beschwerde gegen die Nichtgewährung der Auskunft – Abstand zu nehmen gegen Zahlung eines Geldbetrages (sofern dieses Zahlungsangebot nicht gerade der vergleichsweisen Beilegung eines über die Reichweite des Auskunftsersuchens entstandenen Streites dient).

Dem hat der EuGH nun eine Absage erteilt und klargestellt, dass die Verfolgung legitimer auch datenschutzfremder Zwecke den Auskunftsanspruch nicht von vorneherein ausschließen kann, da der Auskunftsanspruch vom Betroffenen nicht begründet werden muss.

Unbeschadet dessen steht dem das legitime Interesse der Verantwortlichen entgegen, geheimhaltungsbedürftige Informationen nicht beauskunften zu müssen. Unbestritten ist, dass ein legitimer „Ausweg“ der Verantwortlichen die Eingrenzung des Auskunfts- und Kopieranspruchs auf das Tatbestandsmerkmal der (gerade) „personenbezogenen“ Daten ist. Insbesondere Informationen, deren einziger Anknüpfungspunkt zum Auskunftssuchenden eine Vertragsbeziehung ist, sind nicht hierdurch bereits personenbezogen. Der Personenbezug beinhaltet allerdings oft zumindest mittelbar Sachinformationen wie Vermögens- und Eigentumsverhältnisse sowie Vertragsbeziehungen und alle sonstigen Beziehungen der betroffenen Person zu Dritten und ihrer Umwelt. Korrespondenz und interne Memos über die betroffene Person würden vom Kopierecht demnach nicht per se ausgeschlossen.

Zur Abwehr einer zur Ausforschung betriebenen umfassenden Herausgabe sollte erwogen werden, eine „Personenbezugs-Schere“ anzusetzen und die Dokumente und Daten nicht „in der Rohfassung“ ihrer Gesamtheit, sondern gefiltert und begrenzt auf diejenigen Teile, die sich mit personenbezogenen Daten der auskunftsbegehrenden Person befassen, herauszugeben. Denn der Begriff der Kopie in Art. 15 DSGVO bezieht sich laut EuGH nicht auf das gesamte Dokument als solches, sondern auf die darin enthaltenen personenbezogenen Daten.

Die Herausfilterung zu einer verdichteten, strukturierte Zusammenstellung der verarbeiteten Daten (z.B. in Tabellenform) erfordert jedoch idR hohen Aufwand. Zudem liegt die Gefahr einer solchen Vorgehensweise darin, gegen das Gebot der Transparenz der Datenverarbeitung zu verstoßen, sofern die Daten aus dem Kontext ihrer Verarbeitung gerissen werden und die Zwecke und Mittel ihrer Verarbeitung dadurch nicht mehr nachvollziehbar sind. Wo sich das gesamte Dokument jedoch auf eine bestimmte Person bezieht (wie etwa in einem Gutachten oder in einer Personal- oder Patientenakte), ist für die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten die Herausgabe einer Kopie der Gesamtakte stets unerlässlich, wobei aber der Verantwortliche berechtigt ist, Inhalte ohne Personenbezug zu schwärzen.

„Filter und Schere“ können demnach ein zwar aufwändiges, aber effektives Instrument zur Abwehr von Ausforschungsansprüchen darstellen, bei denen es nicht um die in bestimmten Schreiben enthaltenen personenbezogenen Daten, sondern um bspw. Korrespondenz- und Vertragsinformationen geht.

Ist die Auskunftserteilung in dem geforderten Umfang für den Verantwortlichen mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden, kann er die Auskunftserteilung zwar nicht deshalb verweigern, hat aber die Möglichkeit, den Betroffenen zu einer Präzisierung seiner Anfrage aufzufordern und ihn hierbei zur Formulierung seiner Ansprüche mit den erforderlichen Informationen zu unterstützen. Verweigert der Betroffene hierbei seine Mitwirkung, so ist der Verantwortliche ausnahmsweise berechtigt, die Auskunftserteilung abzulehnen.

Der für den Verantwortlichen wichtigste Zurückweisungsgrund ist die Geheimhaltungsbedürftigkeit der begehrten Informationen. Auskunftsansprüche dürfen die Geschäftsgeheimnisse und die Rechte des geistigen Eigentums des Verantwortlichen nicht beeinträchtigen. Auch kann das Recht auf ein faires Verfahren im Sinne von Art. 47 GRCh verletzt werden, wenn sich der Betroffene einseitig durch den Auskunfts- und Kopieranspruch Zugang zu prozessrelevanten Unterlagen verschaffen will.

Ob tatsächlich Geheimhaltungsbedürftigkeit vorliegt, ist im Wege einer Interessenabwägung zu ermitteln. Zu berücksichtigen ist einerseits, welche Zwecke vom Betroffenen mit der Auskunft verfolgt werden, und andererseits, inwieweit der Verantwortliche durch die Offenlegung in seinen legitimen Geheimhaltungsbedürfnissen und Verteidigungsmöglichkeiten beeinträchtigt würde.

Das Geheimhaltungsbedürfnis überwiegt, wo (und insoweit) den Betroffenen in einem aktuell anstehenden oder eingeleiteten Zivilprozess die Darlegungs- und Beweislast träfe, die er zur Vermeidung von Beweisnot nun durch den Auskunftsanspruch umzukehren versucht. Dies ist für jedes Datum im Einzelfall zu prüfen. Eine Pauschalzurückweisung verbietet sich.

Informationen zur Prozessstrategie und die Anwaltskorrespondenz werden hierbei grundsätzlich als geheimhaltungsbedürftig anzusehen sein. Allein die Befürchtung, die Auskünfte könnten später einmal in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren gegen den Verantwortlichen verwendet werden, genügt jedoch nicht, um Geheimhaltungsbedürftigkeit zu begründen.

Andererseits wird sich das Offenlegungsinteresse des Betroffenen durchsetzen, wenn der Betroffene auf der Grundlage konkreter Hinweise mit seinem Auskunftsgesuch das Vorliegen einer ihn betreffenden Datenschutzverletzung aufklären möchte, da in diesem Falle die Auskunft nicht zweckfremd ist, sondern im Gegenteil den originären Zwecken und Schutzzielen der DSGVO und deren Verwirklichung dient.

Inwieweit die Zurückweisungsentscheidung dem Betroffenen zu begründen ist, bleibt offen. Eindeutig ist, dass eine ausführliche Begründungspflicht nicht bestehen kann, da sie dem Sinn und Zweck des Ausnahmetatbestandes der Geheimhaltungsbedürftigkeit zuwiderliefe. Andererseits muss dem Betroffenen für die Inanspruchnahme der Rechtsweggarantie, insbesondere in Gestalt eines Rechtsmittels gegen die ablehnende Entscheidung, eine Begründung an die Hand gegeben werden, die zumindest so weit reicht, dass der Betroffene seine gerichtlichen oder behördlichen Rechtsschutzmöglichkeiten und deren Begründetheit überprüfen kann.

Autor: Dr. Jens Bücking

Autor: Dr. Jens Bücking

Rechtsanwalt
Fachanwalt für IT-Recht

Senior Partner bei esb Rechtsanwälte Emmert Bücking Speichert Matuszak-Lesny (Adwokat) Partner­schafts­gesell­schaft mit beschränkter Berufshaftung


Veröffentlicht am 07.03.2024
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