Die DSGVO als „Super-Anspruchsgrundlage“ für Akteneinsichten aller Art?

In behördlichen, gerichtlichen sowie sonstigen Akten und Archiven hoheitlicher Organisationen befindet sich bisweilen Material, das Verfahrensbeteiligte, aber auch am Verfahren unbeteiligte Dritte seit jeher für eigene Interessen jedweder Art nutzbar machen wollten, aber bisher zum Teil nicht konnten.

Denn derlei Befugnisse werden grundsätzlich durch spezialgesetzliche Verfahrensvorschriften geregelt, bspw. in § 299 ZPO für die Einsicht in Zivilakten oder § 406e StPO in Strafakten. Weitere Anspruchsgrundlagen ergeben sich aus den Landesinformationsfreiheitsgesetzen bei Vorliegen eines berechtigten Interesses.

Verfahrensbeteiligte haben in aller Regel ein solches berechtigtes Interesse. Eröffnet nun aber die DSGVO allgemein Akteneinsichtsrechte auch für einen nicht am Verfahren selbst Beteiligten?

In diese Richtung weisen Tendenzen in der Rechtsprechung. Berechtigte Interessen können hiernach bspw. auch dann gegeben sein, wenn durch das mit der Akteneinsicht erhoffte Material eine Klage gegen Dritte vorbereitet werden soll, sei es durch die Kenntnis vom Schädiger oder von den zum Schadensersatz führenden Ursachen, sei es durch sonstige in die Kompetenz der Ermittlungsbehörden fallende Sonderkenntnisse (wie z.B. Gutachten), die ausgewertet werden können. Gemeint ist ferner das Interesse an der Abwehr fremder Ansprüche, an der Möglichkeit, sich zu verteidigen, ungünstige Umstände zu erkennen, die eigene Unschuld zu beweisen oder etwa geeignete Beweisanträge zur Fortsetzung oder Ausweitung der Ermittlungen zu stellen.

Dementsprechend haben Verwaltungs- und Finanzgerichte auf der Grundlage der DSGVO Akteneinsicht auch für Dritte zugelassen, wenn ein nicht gerade mutwilliges oder offensichtlich aussichtsloses Rechtsverfolgungs- bzw. Rechtsverteidigungsinteresse plausibel dargelegt wurde. Einen Prüfungsmaßstab, ob die wahrgenommenen rechtlichen Interessen Aussicht auf Erfolg haben, gab es hierbei nicht.

Kann dies rechtens sein?

Die DSGVO verleiht ein Akteneinsichtsrecht zwar nicht ausdrücklich, es wurde in den bisherigen Fällen aber hergeleitet aus Art. 15 Abs. 1 2. Halbsatz und bezieht sich auf sämtliche in den Akten verarbeiteten personenbezogenen Daten. Dies gilt in zeitlicher Hinsicht auch, soweit personenbezogene Daten weiterhin, d.h. vor dem 25.05.2018 (Inkrafttreten der DSGVO) und darüberhinausgehend verarbeitet werden und betrifft damit auch Papierakten mit Informationen in der Zeit vor Inkrafttreten der DSGVO. Ein behördliches bzw. gerichtliches Ermessen soll insoweit nicht bestehen, da das EU-Recht (und damit auch die DSGVO) dem nationalen Recht vorgehe – es sei denn, dass es an den entsprechenden abschließenden Regelungen in der DSGVO fehle; Letzteres soll aber nach Auffassung eines Gutteils der insoweit mit Akteneinsichtsgesuchen befassten Instanzgerichte nicht der Fall sein.

Richtigerweise dürfte jedoch auch bei DSGVO-gestützten Ansprüchen das Korrektiv des „berechtigten Interesses“ anzuwenden sein. Dieses berechtigte Interesse, ist es in der Person des Aktenantragsstellers erst einmal festgestellt, ist sodann abzuwägen mit weiteren berechtigten Interessen von Personen, die von der in der Akte dokumentierten Datenverarbeitung (mit-) betroffen sind. Dieses Korrektiv verletzt auch nicht Art. 15 DSGVO, denn es ist der DSGVO selbst in Art. 6 Abs. 1 lit. f zu entnehmen:

  • Die Gewährung von Akteneinsicht ist eine Verarbeitung durch das Gericht im Sinne des Art. 4 Ziff. 2 DS-GVO („Offenlegung durch Übermittlung“). Die DSGVO ist daher auf die Gewährung von Akteneinsicht durch die Gerichte anzuwenden, wenn die Akteneinsicht Informationen umfasst, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Verfahrenssondervorschriften über die Akteneinsicht wie bspw. aus der ZPO oder der StPO sind im Sinne der DSGVO auszulegen.
  • Es besteht daher die Möglichkeit, bei Gericht in laufende Akten Einsicht zu nehmen und eine Aktenabschrift zu begehren, sofern und soweit ein rechtliches Interesse der Einsicht begehrenden Person besteht und nicht überwiegende berechtigte Interessen entgegenstehen.
  • Gibt es also ein solches Interesse, ist es gegenüberzustellen und abzuwägen mit den Geheimhaltungsinteressen bzw. dem Recht auf Privatheit, informationelle Selbstbestimmung und hier insb. Bewahrung der Kontrolle über die Verwendung der eigenen Daten. Dies können bspw. auch die Interessen einer nicht selbst als Partei an dem Verfahren, in dessen Akten Einsicht begehrt wird, beteiligten Person sein.
  • Aus Art. 6 Abs. 1 lit. f in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 lit. f DSGVO wird der allgemeine Rechtssatz abgeleitet werden müssen, dass das Verarbeitungsverbot nicht gilt in Fällen, in denen die Verarbeitung zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder Behandlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist. Denn der Erlaubnistatbestand des Art. 9 Abs. 2 lit. f DSGVO stellt für sensible Daten einen Sonderfall des allgemeinen Erlaubnistatbestands des berechtigten Interesses gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO dar. 
  • Die Frage der Erforderlichkeit zur „Geltendmachung, Durchsetzung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen“ ist nach einer Entscheidung des OGH aus 2019 großzügig auszulegen. Wenn ohne diese Daten die Geltendmachung eines Anspruches oder die Verteidigung einer Rechtsposition nicht möglich ist oder wesentlich erschwert wäre, ist die Übermittlung zulässig. Eine Erschwerung kann hiernach bereits in der Unkenntnis des Akteninhaltes liegen, wenn sich hieraus nachteilige Folgen für die eigene Rechtsposition ergeben können.

Hieraus folgt ein Akteneinsichtsrecht im Lichte der DSGVO nach Abwägung der jeweils betroffenen (berechtigten) Interessen.

Autor: Dr. Jens Bücking

Autor: Dr. Jens Bücking

Rechtsanwalt
Fachanwalt für IT-Recht

Senior Partner bei esb Rechtsanwälte Emmert Bücking Speichert Matuszak-Lesny (Adwokat) Partner­schafts­gesell­schaft mit beschränkter Berufshaftung


Veröffentlicht am 03.11.2022
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